Ein Tag wie jeder andere

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Der Tag ist fast vorbei für all diese Menschen die an mir vorbeigehen, für mich fängt er erst an. Mein Kopf hämmert, ein hupendes Auto donnert die Straße runter. An der Kreuzung bauen sie noch immer an diesem neuen Haus, oder reißen das Alte ab – ich habe noch nie richtig hingesehen. Ein paar Arbeiter, Steine, viel Lärm. Eine Baustelle, so oder so. Im Hintergrund schön romantisch: ein Sonnenuntergang zwischen schwarzen Wolken.
Ich bin irgendwo anders in meinen Gedanken und muss lächeln. Ein Mädchen kommt mir entgegen und ich bleibe hinter einem Baum stehen damit sie vorbei kann. Als sie an mir vorbeigeht lächelt sie und sagt thanks. Ein Wort, das hier im Vereinigten Königreich nicht die geringste Bedeutung hat. Womöglich hatte es mal eine, aber die ist vor langer Zeit verloren gegangen, zu oft wird es in zu banalen Situationen gebraucht. Ich erinnere mich kurz an die Diskussion, die ich letzten Freitag in einem Kurs ausgelöst habe, und mir am Ende selbst die Briten zugestimmt haben, dass thanks und sorry bedeutungslos geworden sind.
Dieses Mädchen legt in das Wort wieder all seine Bedeutung zurück. Eine solch sanfte Betonung habe ich in all dieser Zeit in der ich nun schon hier lebe noch nie gehört. Fast so, als würde sie es ehrlich meinen. Meine Kopfschmerzen sind für einen kurzen Augenblick weggewischt.

Sie hat wieder diesen grünen Pullover an. Es ist das Erste das mir auffällt, als sie den Gang herunter kommt. Etwas an dieser Kombination fasziniert mich. Dabei sind grün und rot doch eigentlich gar keine solch extravaganten Farben.
Sie redet nicht viel dieses Mal. Sie sagt ein paar Worte, aber lächelt die meiste Zeit über nur. Anderthalb Stunden sitzt sie vor mir, und ich frage mich was das Leben mir sagen will. Denn was es mir in diesem Moment sagt will ich nicht. Nicht hier, nicht mit ihr.
Als ich meine Jacke anziehe steht sie plötzlich vor mir. Und drückt mir ein Bild in die Hand.
“Hier. Ist nichts besonderes, kam mir bloß so in den Kopf.”
Eine Künstlerin. War ja klar. 99,9-prozentige Wahrscheinlichkeit. Volltreffer.
“Ist ganz in Ordnung.” Sage ich und lächele.
“In Ordnung?”
“Ja. Also. Okay. Ich nehm’s.”
Sie streicht sich ihr dunkelblondes, rotgefärbtes aus dem Gesicht und lächelt.

Als ich später im Zug sitze sehe ich mir das Bild noch einmal an. Da erst fällt mir der Titel auf: Seeing Heaven.

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One response to “Ein Tag wie jeder andere”

  1. Schön geschrieben (wie immer :)). Es ist schön zusehen, dass die Leute auf meinem Geburtstag ebenfalls einen tollen Tag erlebt haben und ein zwei Lächeln gescheckt bekommen haben! :)

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