This ain’t real, ’tis my life.

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Die Ventilatoren drehen unermüdlich im Hintergrund. Aus den Lautsprechern dröhnt Awakening von Switchfoot. Eine Tasse abgestandenen Kaffees stinkt auf dem Tisch vor mir. Eine frische Tasse täte gut. Die Maschine in diesem heruntergekommenen Café ist so verkalkt, da ist ein Herzinfarkt nicht weit. Ich ende mit einem unsäglichen Klischee. Here we are now with the falling sky and the rain.

Schlafen war der einzige Gedanke. Beim ersten Mal schäumte ich über vor Wut. Weinte. Rannte kilometerweit. Verlor mich irgendwo zwischen nirgendwo und nimmermehr. Fand den Weg in die Schule erst irgendwann in der zweiten oder dritten Stunde. Es war bloß Latein. Und ich brauchte die Einsamkeit. Es gibt wichtigere Dinge als Schule, wie eine Freundin immer zu sagen pflegt. Dieses Mal war noch nicht mal mehr die Kraft übrig um stehen zu bleiben. Gegen die mit portugiesischen Liebeserklärungen verschmierte Wand habe ich mich lehnen müssen und bin dann trotzdem zu Boden gesunken. Eu amo-te.
       Geweint habe ich nicht. Ich war einfach nur noch leer. Energielos saß sie auf dem Boden, diese Hülle die einmal Ich war. Zusammengekauert im Schatten, voll vom Gestank des Alkohols, voll vom Gestank der Drogen die jeden Abend in dieser gottverlassenen Ecke konsumiert werden.
       Das Leben imitiert die Kunst. Wie sonderbar, dass ich das Ende einmal so vorhergesehen habe. Vorbereitet war ich trotzdem nicht. Das ist niemand jemals. Die tatsächliche Leere ist größer als die vorgestellte. Der letzte Satz klingt als wolle ich jemanden belehren. Ich glaube das bin ich. Ich höre ja doch nie zu.

Drei Stunden später. Der Kaffee steht immer noch hier. Mittlerweile läuft Twilight Sun von Leaves’ Eyes.
       Ich höre ihre Stimme immer noch. Wieder, immer und immer wieder hallen die Worte in meinem Kopf. Durch den ganzen Körper. Wie Messer stechen sie von innen überall auf mich ein. Wenigstens sieht man von aussen keine Wunden.
       “T’as un regard tellement triste. Tout va bien?” fragt ein gerade hereingekommener Bekannter und ich wundere mich wieso es ihm überhaupt auffällt. Ich winke kurz mit der Hand ab und lüge ich wäre nur müde. Jetzt darüber zu reden würde bedeuten die Messer noch fester in meine Organe zu rammen.

Wir sind nicht mehr die Menschen von damals. Das habe ich bereits seit langem gewusst. Es auszusprechen macht es aber erst real. Von Hardcore und Screamo war ein langer Weg, und unterwegs haben wir uns verloren. An der Gabelung Indie – HipHop haben wir uns getrennt. Sie ging rechts, ich ging links.
       Vielleicht waren wir nie auf gleicher Höhe. Vielleicht lief immer einer vorne und einer stolperte hinterher. Jetzt spaziert sie fröhlich weiter und ich bin mit dem Gesicht auf dem Asphalt aufgeschlagen.
       Ich habe es vorhergesehen. Die Freude, dass es vorbei ist. Sie tut weh, so schrecklich weh, die Wahrheit, aber zumindest ist es die Wahrheit.
       Mit einer halbleeren Tequilaflasche stand sie einmal vor mir. Mittags nach der Schule. Mit blutunterlaufenen Augen hat sie lallend die Leute angepöbelt. “Alles ist so eklig hier,” meinte sie und stolperte zum Supermarkt eine neue Flasche klauen. Und ich habe plötzlich erkannt: das ist es wirklich.
       Die Freude, dass sie ihren Weg gefunden hat. Allen Widrigkeiten zum Trotz.

Ich werde dich auch morgen noch lieben. Lieben heißt loslassen. I wanna wake up kicking and screaming.

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5 responses to “This ain’t real, ’tis my life.”

  1. Wirklich schön geschrieben! Glückwunsch du bringst es immer fertig in ein paar Zeilen den Leser “mitzureissen” und man fühlt mit dem Hauptcharakter. Diese Situation hat wohl jeder (oder fast jeder) von uns schon mal erlebt. Nochmals Glückwunsch zu diesen Zeilen!

  2. Wow. Einfach nur “wow”. Sch??n, mitreißend und wieder habe ich das Gefühl, das Leben eines anderen zu erleben.
    Nur bei dem Satz “die Messer noch fester in meine Organe zu rammen.” würde ich “noch tiefer” benutzen. Oder hätte das auf jeden Fall so erwartet.

  3. A bittersweet symphony! Grandious!

  4. Ech wees ni waat ech bei gudden Texter soll schreiwen, mir fehlen dann emmer d’Wierder. dofir soen ech lo einfach mol: schéinen Text!

  5. Danke. Merci. Thanks. :)

    @Fireball
    Ich habe zwischen den zwei Alternativen geschwankt, bin immer noch nicht sicher welche besser ist, werde es deshalb jetzt erst mal so stehen lassen. Vielleicht ist es gar nicht so übel, ein unerwartetes Wort zu haben…

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