Unsere Generation leidet unter der Emobewegung. Teenager, die sich von der Welt verlassen fühlen und die sich dem Hass und der Ignoranz von allem und jedem ausgesetzt sehen. Das Gefühl mag bei manchen echt sein, andere sind wohl nur so weil es gerade in Mode ist. Der Widerspruch der Emos ist aber in jedem Fall derselbe: Verallgemeinerung. Fast so als würde eine komplette Generatioun vun Pubertierenden und Prepubertären unter einer chronischen Depression leiden wird MySpace zu einer Art Medizin, die eigentlich nur ein Placebo ist, denn im Grunde befriedigt es nur den immer größer werdenden menschlichen Exhibitionismus. Bevor mir einer vorwirft, ein Blog wäre auch exhibitionistisch möchte ich klar stellen, dass mir das durchaus bewusst ist. Der Unterschied liegt allerdings darin, dass dieses Blog nicht dazu geschaffen wurde, um meine Persönlichkeit bloßzustellen, was jedoch die Hauptaufgabe von MySpace zu sein scheint. Und die Persönlichkeiten sind zu einem großen Teil gleich. Seht her, ich fotografiere mich selbst von oben und im Spiegel, ich bin cool! Paradoxerweise wird die Ausdrucksform der Emos zu dem was ihre Situation noch schlimmer macht: das Gefühl nicht beachtet zu werden wird nur durch eine Illusion überlagert, denn im Grunde verschwinden sie erst richtig in der Masse sobald sie zu einem Sandkorn am kilometerlangen MySpace-Strand werden.
Das Gefühl der Unzufriedenheit plagt eine komplette Generation in einem Ausmaße wie es seit langem nicht mehr der Fall war. Das Fin du siècle war womöglich die letzte ähnliche Bewegung – das Jazz Age einmal aussen vorgelassen, denn in den 1920ern war es immerhin die ältere Generation die von dieser Unzufriedenheit geplagt wurde, während die Jugend immer dekadenter wurde. Vielleicht ist heute am Anfang des 21. Jahrhunderts aber zum ersten Mal beides der Fall: die Welt verändert sich in einem nie dagewesenen Tempo und der Spalt zwischen den Generationen wird immer größer. Es mag eine subjektive Beobachtung sein, aber mir kommt es so vor, als würden die jüngeren Generationen so radikal wie nie zuvor eine neue Kultur erschaffen – vom Krumping bis hin zum Nutzen neuer Technologien. In den letzten Jahren sind mehr neue Ausdrucksmöglichkeiten entstanden als jemals zuvor in der Geschichte der Menschheit; von der Wandmalerie zum Buch verlangte es Jahrtausende, vom Buch zum Radio Jahrhunderte und vom Radio zum Fernsehen Jahrzehnte. Vom farbigen Fernsehen zum Internet brauchte es nur noch wenige Jahre und das Internet hat in wenigen Jahren soviele Möglichkeiten geschaffen wie nie zuvor. Von Blogs über Podcasts bis hin zu Videoportalen erschließen sich einer Generation, welche mit diesen Entwicklungen aufgewachsen ist, plötzlich fantastische Ausdrucksformen. Dass dabei auch viel wertloser Inhalt entsteht ist unabdingbar, verringert aber nicht das Potenzial der Entwicklungen.
Am Ende des Tages bleibt aber dieses große Problem bestehen: Massenkultur – ein Wort, das bereits in sich einen Widerspruch darstellt. Kultur entsteht durch individuelle Sichtweisen, neue Definitionen von Altbekanntem, das Brechen von Konventionen und Regeln. Kultur kann nie einer Masse gerecht werden. Wenn Millionen von Menschen Harry Potter lesen ist das keine Kultur, sondern das Resultat einer groß angelegten Marketingstrategie des Mainstreams. Wenn Millionen von Menschen sich den neusten Spielberg Film ansehen, ist das keine Kultur sondern das Konsumieren eines Produktes. Ein Wort welches das Problem passend illustriert ist die Bezeichnung Kulturindustrie. Kultur wird dessen beraubt was sie eigentlich ausmacht: Originalität. Wenn einer eine Idee hat, wird sie entweder sofort patentiert oder gleich von allen kopiert anstatt interpretiert. Klauen ist einfacher als nachdenken. Die Industrie versteht Kultur hier aber absolut falsch: Kultur heisst nicht, sich von Produkten berieseln lassen, sondern das genaue Gegenteil davon: richtige Kultur regt zum Nachdenken an. Sie entzieht sich jeglichem banalem Konsumieren sondern verlangt dem Betrachter ein Stück von sich selbst ab. Kultur ist nicht nur das bloße obligatorische Besuchen des Louvre, das Ansehen des neusten Hollywood Filmes oder Lesen des letzten Dan Browns.
Wir brauchen wieder etwas, das uns verbindet. Eine Basis die nicht auf kommerziellem Interesse beruht, sondern auf dem Drang kreativ zu sein. Eine Basis die es nicht erlaubt einfach nur zu konsumieren. Eine Basis die es erlaubt auf anderes aufzubauen und nicht nur eine bloße Kopie zu schaffen. Möglichkeiten dazu existieren bereits genug: ein besonders hervorzuhebendes Phänomen sei das Podiobook, eine Form des Podcasting bei der unveröffentlichte Autoren ihr Werk als Podcast publizieren – zu einem großen Teil den “großen” Autoren überlegen. Das ist aber nicht genug. Wir brauchen wieder eine literarische Bewegung die sich nicht auf ein bestimmtes Thema stützt, sondern vielmehr den Autoren die Möglichkeit lässt, ihre Ideen niederzuschreiben. Eine Bewegung die den Drang nach Selbstexpression unterstützt. Eine Bewegung die sich nicht durch bestimmte Stilfiguren definieren lässt, sondern gerade durch das Nichtvorhandensein dieser. Eine Bewegung die so vielfältig ist wie die Gedanken ihrer Autoren. Eine Bewegung für eine aufstrebende Generation von Autoren die sich nicht einem Herausgeber und dessen Ideen unterwerfen wollen, eine Bewegung dessen Ziel es nicht ist von der Masse anerkannt zu werden, sondern verstören will.
Eine Bewegung die sich den Problemen der Welt bewusst ist und den Menschen wieder zum Nachdenken anregen will. Werke die es wagen unbequeme Fragen zu stellen, eine neue Sichtweise auf Dinge zu geben, Konventionen zu brechen. Autoren die unzufrieden sind mit der Kommerzialisierung der Kultur. Autoren die das schreiben, wozu sie den Drang verspüren und nicht was ihnen von der Kulturindustrie vorgeschrieben wird. Autoren die am Anfang des 21. Jahrhunderts stehen und erkennen, dass die eingeschlagene Richtung die falsche ist. Autoren die Kultur wieder zu dem machen wollen, was sie einmal war: kreativ.
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